Montag, 18. Juli 2016
Gelesen und Gefunden bei Italo Calvino
"Der Wind, der von weit her über die Stadt streicht, bringt ungewöhnliche Gaben mit, die nur wenige, empfindsame Seelen bemerken: Leute mit Heuschnupfen zum Beispiel, die den Pollenstaub der Blumen von fremder Erde aus ihrer Nase wieder hinausniesen.
Eines Tages sanken, wer weiß woher durch die Luft herangetragen, Sporen auf die Erdstreifen einer Allee in der Stadt nieder, und daraus wurden Pilze. Niemand bemerkte sie,außer dem Handlanger Marcovaldo, der gerade an dieser Stelle morgens in die Straßenbahn zu steigen pflegte."
"Dieser Marcovaldo hatte keinen Blick für das Leben in der Stadt: Schilder, Verkehrsampeln, Schaufenster, Leuchtreklamen, Plakate, waren sie auch noch so ausgeklügelt, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, das alles konnte seinen Blick nicht fesseln, der über den Sand einer Wüste zu schweifen schien.
Was ihm hingegen nie entging, das war ein Blatt, das an seinem Zweig gilbte, eine Feder, die an einem Dachziegel hängen geblieben war. Keine Bremse auf der Kuppe eines Pferdes, keine Rille, von einem Holzwurm in die Tischplatte gebohrt, keine zerquetschte Schale einer Feige auf dem Bürgersteig, die Marcovaldo nicht bemerkt, über die er nicht die Erörterungen angestellt, die er nicht zum Anlass genommen hätte, dem Wechsel der Jahreszeiten, den Sehnsüchten seiner Seele und der Trübseligkeit seiner Existenz nachzusinnen."
"Er bückte sich um die Schnürsenkel fester zu knüpfen, und sah genauer hin: es waren Pilze, echte Pilze, die hier mitten im Herzen der Stadt sprossen.Marcovaldo hatte die Empfindung, als ob die graue elende Welt, die ihn umgab, mit einem Mal verborgenen Reichtum offenbare, als ob man vom Leben noch etwas erhoffen dürfe, was über dem Empfang der vertraglich geregeltenLohntüte, die Sozialversicherungen und das tägliche Brot hinausging."
( Italo Calvino, Marcovaldo oder die Jahreszeiten in der Stadt, S.9ff, Edition Büchergilde Gutenberg, 2015)
Ein feines wundersam wunderbares Buch!
7 Kommentare:
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Oh, das klingt ganz wunderbar!
AntwortenLöschenDas Buch landet direkt auf meiner Wunschliste.
Und welch passende Bepilzung der Stadt. Eine tolle Idee!
Herzliche Grüße
Mirjam
Ganz sicher wird es Dir gefallen, das Buch!Liebe Grüße nach Berlin!Taija
LöschenSchon wieder ein Buch auf meiner Lesewunschliste, herrje..., entzückend die farbenfrohen Pilze... Lieben Gruß Ghislana
AntwortenLöschenPS - Danke für die Erinnerung, gerade..., als ich mit einer Klasse meiner Erzieher-Studierenden in Berlin in den Volkspark Friedrichshain wanderte, sah eine der jungen Frauen dort zum ersten Mal in ihrem Leben echte Pilze, ein ganzes Völkchen frischer Schopftintlinge... Ihre Rührung darüber werde ich nie vergessen, jedenfalls nicht, wenn mich mal jemand wie du daran erinnert ;-)...
AntwortenLöschenDas ist eine schöne Erinnerung! Ich erzähle nicht, wie die Geschichte bei Marcovaldo ausgeht und freue mich sehr Dich erinnert und "angesteckt" zu haben ;-)...
Löschenwunderschön - deine pilze und der text! es gibt so viel an verborgenem reichtum zu entdecken!
AntwortenLöschenherzlichen gruß, mano
Hihi, und vom Kind war heute Morgen zu hören."Mama! Ich komme zu spät zur Schule!!!"als ich eifrig entdeckend fotografierte. Ich hätte der Lehrerin bei Verspätung einen Pilz geschenkt.Liebe Grüße!
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